Sagen

Die Stadt Brehna birgt eine reiche Geschichte, die sich unter anderem in zahlreichen Sagen und Erzählungen widerspiegelt. Diese mystischen Geschichten erzählen von faszinierenden Begebenheiten, geheimnisvollen Orten und den Menschen, die einst in dieser malerischen Stadt lebten. Von rätselhaften Schätzen, verzauberten Wesen bis hin zu heldenhaften Taten die Sagen aus und über die Stadt Brehna entführen uns in eine Welt voller Mythen und Legenden, die das kulturelle Erbe dieser Region lebendig halten.

Hier haben wir auch ein paar dieser Sagen zusammengestellt. Wenn ihr weitere Sagen lesen möchtet, dann könnt ihr gerne unser kleines Sagen-Büchlein erwerben.

Die Gans auf den goldenen Eiern – Lothar Herbst

Da, wo die Kellergewölbe des alten Klosters am tiefsten sind, sitzt seit alters her eine Gans und bebrütet goldene Eier. Wer das Nest findet, vorsichtig die Gans etwas anhebt und die goldenen Eier herausnimmt, der wird reich und glücklich sein bis ans Ende seiner Tage.
Viele haben es bereits versucht, aber bisher ist es noch keinem gelungen, an die Eier heranzukommen. Es ist nicht so einfach. Das Nest kann nur der finden, der den richtigen Zeitpunkt wählt, er soll gegen Mitternacht liegen, und auch die richtige Beschwörungsformel
kennt. Wem es gelingt, drei Mal die Klosterkirche zu umrunden ohne an den Schatz zu denken, dem wird sich der Zugang öffnen. Doch noch keinem ist das gelungen. So sitzt auch heute noch die Gans auf den goldenen Eiern.

Das Glückseisen – Willy Winkler

Alte Hufeisen sind Glücksbringer von altersher. Darum nagelt sie der Hausvater auch an Scheunentore und Haustüren. In Brehna aber kam ein Haus auf besondere Weise zu einem Glückseisen:
Otto I., dem Geschlechte der sächsischen Wettiner anverwandt, hatte um 1200 zu Brehna sein festes Haus. Seine Grafschaft umfaßte einen weiten Besitz, besonders auf dem Fläming und in der Magdeburger Pflege lag dieser, und man sieht es der kleinen Stadt heute nicht mehr an, daß sie einmal der Regierungssitz eines mittelalterlichen Herrschers gewesen ist.
Otto erfocht zwischen Zörbig und Landsberg im Jahre 1203 einen Sieg über König Otto IV. , welch letzterer das Land nach einem Einfall gräßlich verwüstet hatte. Deshalb war das Volk dem Befreier wohlgesonnen. Das Städtchen Brehna blühte, die Handwerker hatten zu schaffen, die Krämer zu verkaufen, die Bauern säten und ernteten, obwohl die Zeiten sonst schlimm waren und das Faustrecht herrschte.

Eine Leidenschaft aber hatte Otto. Mit Überfreude jagte er auf seinem Roß durch Felder und Wälder und durch die engen, winkeligen Straßen der Stadt. Die Bürger, die ehedem vor ihren Häusern standen und erzählten, drückten sich schleunigst an die Hauswand, sobald nur das Klappern der Roßhufe des wilden Reiters erklang, und die lieblichen Mägdlein unter den blumengeschmückten Fenstern zogen schnell ihr blondes Köpfchen ein. Wenn Roß und Reiter daherjagten, floh alles in die Behausungen.

Einst brauste die wilde Jagd durch die Straße, die jetzt nach Bitterfeld führt. Da verlor das Roß ein Eisen, das in hohem Bogen gegen eine Hauswand flog und sich dort durch die Gewalt des Schwunges festprägte.

Der Hauswirt hat das Hufeisen hängen lassen, damit es ihm und den nach ihm kommenden Geschlechtern Glück bringen möge. Hat doch die liebe Sonne das Eisen an der Hauswand vergoldet, und nun leuchtet die Freude in die kleinen Stübchen durch alle Zeiten.

Das Sühnekloster – Lothar Herbst

Der junge Graf Thimo verlebte eine glückliche Jugend in Brehna und Umgebung. Besonders große Freude bereitete ihm, im Frühling auf schnellem Pferde über die Felder zu reiten und im Wettstreit mit Gleichaltrigen der Sieger zu sein.
Einmal aber hatte ein Jüngling ein schnelleres Pferd. Er überholte den jungen Grafen und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Graf Thimo war tödlich beleidigt. Er ging zu seiner Mutter und erzählte ihr, was ihm widerfahren war. Die aber tröstete ihn und versprach ihm ein besseres Pferd.

Im nächsten Frühjahr trafen sich die Jünglinge wieder zum gemeinsamen Ritt über die Felder. Als Thimo seinem Gegner vom Vorjahr begegnete, der ihn geohrfeigt hatte, verdunkelte schwarzer Haß sein Gemüt. Im rasenden Galopp überholte er ihn und stach ihn mit dem Schwert vom Pferd. Seine Mutter fürchtete die Rache der Familie des Getöteten und brachte deshalb ihren Sohn in den königlichen Hof. Hier gelangte Thimo bald zu hohen Ehren. Sogar der mächtige Herzog Otto von Northeim vertraute ihm seine Tochter als Gattin an.

Glücklich lebte Thimo mit Ida, seiner Gemahlin. Nur tief in seinem Inneren brannte die Reue wegen der frevelhaften Tat beim Ritt über die Felder. Voller Vertrauen in seine Gattin sprach er mit ihr über die Tat seiner Jugend. Ida überredete ihn, noch einmal gemeinsam mit ihr dahin zu gehen, wo er seinen jugendlichen Gegner erstochen hatte. Der Ort befand sich in einem Gebiet, in dem die Bewohner noch heidnischen Göttern huldigten, am Rande eines dichten Auenwaldes in der Nähe von Brehna. Hier beschlossen beide, ein Kloster zu gründen. Reich wollten sie es ausstatten, und geräumig sollte die erste Klosterkirche sein. Noch im gleichen Jahr begannen sie mit dem Bau ihres Klosters, und es fanden sich viele, die ihnen halfen. Mönche aus Nimwegen waren die ersten, die vom Kloster aus die heidnischen Sorben missionierten. Sie gaben dem Kloster auch den Namen. Als Niemegk ist es heute bekannt.
Nach Thimos Tod betreute Ida das Kloster weiter. Als auch sie für immer die Augen schloß, wurde sie in der Klosterkirche zur letzten Ruhe gebettet.

Der Hennil zu Brehna – Lothar Herbst

Vor seiner Hütte saß der alte Brehnaer Schäfer. Wohl 90 Sommer hatte er erlebt und fühlte sein Ende nahen. Trübe waren seine Augen geworden, und trübe wurden auch seine Gedanken, wenn er an seinen Gott dachte. Viele Jahre hatte er im Frühling sein Zeichen in die Häuser der Bauern getragen und ihn angerufen.• „Wache, Hennil! Wache!“

Seine zusammengesunkene Gestalt reckte sich auf, und seine Brust wurde weiter. Er dachte an das Zeichen des Hennil, den Stab mit der hölzernen Hand, die den eisernen Ring hielt. Oft hatte er ihn getragen. Als die Verkünder des neuen Glaubens in Brehna Einzug hielten, hatte er ihnen das heilige Zeichen seines Gottes entgegengestreckt. Die aber hatten gelacht und die Hand mit dem Ring in den Teich geworfen. Kein Blitz und kein Donner waren gefolgt, und auch die Erde hatte sich nicht aufgetan, um die Frevler zu verschlingen. Der neue Gott war mächtiger als Hennil gewesen.

Seine Gestalt sank wieder in sich zusammen. Gebeugt hockte er auf dem niedrigen Schemel. Niemand seitdem wollte noch etwas von Hennil wissen. Vorbei war die Zeit fröhlichen Essens und Trinkens zur Frühlingszeit. Aber eins hatte er noch geschafft. Das steinerne Bildnis seines Gottes mit der Hand, die den Ring hielt, bis es wieder Frühling war, das konnte er noch retten. Nur sicher verbergen wollte er es noch.

Der Mond zeigte seine Sichel, als er die Steinplatte unter seinem Lager hervorholte. Dann griff er zum Grabstock und ging zum Burgberg. Hier, im Berge, der einst seinen Ahnen heilig war, wollte er das steinerne Bildnis seines Gottes vergraben. Niemand sollte es je entweihen können.

Lange grub er. Fast wollten ihn die Kräfte verlassen. Dann war ihm die Grube tief genug. Ein letzter Blick galt dem schnauzbärtigen Antlitz auf der Steinplatte, dann barg er sie in der Grube. Sorgfältig füllte er sie und legte Zweige darauf, als wolle er noch seinen Gott schützen.

Als die Fackeln der Morgenröte am Horizont aufflammten, erreichte er seine Hütte. Als die Röte verblaßte und der junge Tag erwachte, schloß er für immer die Augen.

Gegen Mittag fanden ihn die Bauern und begruben ihn unter seiner Hütte. Sie waren erleichtert, als das Feuer die Hütte verzehrte. Nie mehr würde sie der traurige und doch stolze Blick des Alten wieder treffen.

Der Mönch mit den Kirschen – Willy Winkler

Vor langer Zeit stand in Brehna ein Kloster. Noch heute dient dessen ehemalige Kirche als Gotteshaus und ist in ihrer baulichen Erhabenheit eine Zierde des kleinen Städtchens.
Mag sein, daß von diesem Kloster noch unterirdische Keller und Gänge übrig geblieben sind, die nach Auflösung des Klosters den Bürgern als Vorratskammern dienten. Von einem solchen kleinen Keller wird folgende Geschichte erzählt.

War da ein kleiner Bauer in der Stadt, der hatte „Mönchsgänge“ unter seinem Hause. Man hatte ihm gesagt, daß ein langer, dunkler Gang mit allerlei Geheimnissen unter seinem Hause hinwegführe und sein Keller nur ein Stück von diesem Gange sei. Die Mägde aber, die in seinem Hause schafften, getrauten sich nie allein in den Keller, denn ein Mönch sollte dort unten gesehen worden sein, der geheimnisvoll sein Unwesen trieb. So hatte der Bauer seine liebe Not. Wollte er von den im Keller aufgespeicherten Vorräten etwas haben für die Küche, so mußte er selbst hinuntersteigen oder jedesmal mehrere Personen schicken, denn hartnäckig weigerten sich die Mägde, allein den Keller zu betreten.

Da packte ihn doch einmal die Ungeduld; er wollte sich Gewissheit verschaffen! Mit einem Licht versehen, stieg er in den Keller und suchte die feuchten Wände ab, ob sich nicht irgendwo eine Tür befände. Lange suchte und tastete er, denn er meinte, daß an den Erzählungen der Nachbarn und Ängstigungen der Mägde doch etwas Wahres sein könne. Endlich fand er in einem Winkel eine kleine Tür, die zu einem langen, dunklen Gang führte. In das Dunkel rief er hinein: „Mönchlein, der du mir Knechte und Mägde ängstigst, komm hervor aus deinem dunklen Versteck, bist du aber des Teufels Werk, so hebe dich fort von uns und aus meinem Hause, und deine Seele möge Ruhe finden und ewigen Frieden!“

Da schlürften Schritte im Dunkel, und in den Schein des Lichtes trat eine hagere Gestalt mit verfallenem Gesicht und einer langen Mönchskutte, in den abgemagerten Händen eine Schale frischer Kirschen tragend.

Dem Bauer blieb fast die Sprache weg über die Erscheinung, an die er hatte vordem nie glauben wollen. Die Gestalt aber kam näher und sagte: „Was suchst du, Bauer, hier in meiner Stille und Verlassenheit?“ Da wußte der Bauer nicht gleich, was er sagen sollte und stammelte verlegen: „Wollt Ihr nicht Eure schönen Kirschen verkaufen?“ Der Mönch war dazu bereit und forderte den Bauern auf, eine kleine Schüssel zu holen. Rasch stieg jener die Treppe empor. Aber als er zurückkam, war das Licht erloschen und die Gestalt war nicht mehr zu sehen.

So oft der Bauer auch das Licht wieder entzünden wollte, immer verlosch es schnell, so daß die Türe und der Gang nicht wieder gefunden werden konnten. Auch alles Rufen verhallte nutzlos.
Die Tür ist auch späterhin, als Kind und Kindeskinder des Bauern von ihren Vorfahren und von den Mönchsgängen unter dem Hause erfuhren, nicht wieder entdeckt worden. Die Leute aber hatten Ruhe und der Mönch blieb verschwunden für alle Zeiten.

Der Schatz der Nonnen von Brehna – Lothar Herbst

Tief in der Erde, in Grüften oder Kellern, oder eingemauert in den Fundamenten der Gebäude des Nonnenklosters zu Brehna, wartet ein Schatz auf seine Finder. Viele haben bereits nach ihm gegraben. Einige wollen sogar die kleinen blauen Flämmchen gesehen haben, die ja bekanntlich die Lage eines Schatzes anzeigen. Aber gehoben hat ihn bis heute noch niemand.
Lange hatten sich die Nonnen gegen die neue Lehre des Reformators Martin Luther verschlossen und weiter nach den Regeln ihres Ordens gelebt. Doch letztendlich mußten auch sie ihr Kloster verlassen. Es wurde aufgelöst. Die Bürger Brehnas forderten die Herausgabe des Klosterschatzes.
Da beschlossen die letzten, noch im Kloster verbliebenen Nonnen, ihre Heiligtümer an einem sicheren Orte zu verstecken. In einer dunklen Nacht trugen die Priorin und ihre beiden ergebensten Schwestern alles zusammen, was ihnen wert war, und legten es in feste Truhen. Viel Mühe machte es den Frauen, diese zu dem Ort zu bringen, der als Versteck ausgewählt worden war. Hier verbargen sie sorgfältig den Schatz und gelobten, ihr Geheimnis nur dem Papst oder seinen Abgesandten zu offenbaren. Jeden aber, der unberechtigt den Schatz heben und sich aneignen sollte, den belegten sie mit dem großen Fluch der Nonnen des Klosters St. Clemens der Augustinerinnen von Brehna.
Viele Jahre sind seitdem vergangen. Von Zeit zu Zeit, etwa alle fünf Jahre, kommen Fremde nach Brehna, die sich als reisende Kaufleute ausgeben. Es sind aber Priester in weltlicher Kleidung. Sie überprüfen die Orte der vergrabenen Kirchenschätze und geben dann die Informationen an jüngere Priester weiter.

Der Schatz im Acker – Lothar Herbst

In Brehna lebte ein Bauer. Er konnte sich und seine Familie nur recht und schlecht ernähren, denn die Fron lag schwer auf ihm.

Eines Tages saß er verzagt auf einer Erdscholle seines Ackers. Trübsinn verdunkelte seine Gedanken und nahm ihm die Freude an seinem Tagwerk. Da trat ein Geselle mit langer Nase und lustig funkelnden Augen zu ihm. „Hast du sie schon gefunden?“ Der Bauer schaute den Fremden verständnislos an. „Die Schatztruhe! Ich weiß, sie liegt unter deinem Acker. Vor langer Zeit hat sie ein Ritter in der Erde verborgen, den seine Feinde hart bedrängten. Niemandem hat er den genauen Ort verraten, und keiner hat bisher die Truhe gefunden. Er ist gestorben, ehe er sie heben konnte.“

Der Bauer sah den Fremden an und glaubte, den Schalk aus dessen Augenwinkeln lugen zu sehen. Doch ehe er noch etwas sagen konnte, hatte der Geselle seinen hohen, spitzen Hut über die Stirn gezogen und war seiner Wege gegangen.

Ein Schatz unter seinem Acker! Der Bauer wurde die Gedanken an ihn nicht los. Er begann zu pflügen. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang war er auf seinem Acker. Die Nachbarn wunderten sich über seinen Fleiß. So kannten sie ihn nicht. „Was ist denn in dich gefahren?“ fragten sie. Doch er brummte nur etwas in seinen Bart und machte eine nichtssagende Bewegung mit der linken Hand.

Im ersten Jahr hatte er den Schatz nicht gefunden, aber sein Acker trug besonders reichliche Frucht. So konnte er sich ein zweites Pferd in den Stall stellen und auch angrenzende Felder pachten. Auch auf denen pflügte er unentwegt und suchte die Schatztruhe. So gingen Jahre dahin. Den Schatz fand er nicht, aber das emsige Arbeiten hatte ihm Wohlstand und Achtung seiner Nachbarn gebracht.

Eines Tages, er saß auf der Bank vor seinem Hause und sah mit Freude nach seinem Enkel, da betrat ein Fremder seinen Hof. Der Bauer glaubte, ihn schon mal gesehen zu haben. „Nun? Hast du ihn gefunden, den Schatz in deinem Acker?“ Nun lachte deutlich der Schalk aus den Augen des Fremden. Der Bauer stand auf und wollte dem Gesellen sagen, daß er jetzt versteht, welcher Schatz in seinem Acker ruht, aber der hatte den Hof bereits wieder verlassen und war seiner Wege gegangen.

Die Prinzessin in der gläsernen Kutsche – Lothar Herbst

Vor langer Zeit lebte in der Burg Brehna eine schöne Prinzessin. Ihr größtes Vergnügen war, mit einer von weißen Hengsten gezogenen gläsernen Kutsche über Felder und Fluren zu fahren. Besonders zu Beginn des Frühlings wellte tagtäglich ihr langes blondes Haar hinter den schnaubenden Rössern.
Doch dann geschah es. Ein Gewitter zog auf. Vor
einem krachenden Donner scheuten die Pferde und gingen durch. Die Prinzessin verlor die Gewalt über sie. Das Gespann raste über die Felder. Dem Schlosserteich konnte es nicht mehr ausweichen.
Begleitet von Blitz und Donner stürzten Pferde, Kutsche und Prinzessin in den Teich. Niemand hat sie seitdem wiedergesehen.

Mutige Männer haben versucht, die gläserne Kutsche zu heben. Aber niemandem ist es gelungen, denn der Teich ist so tief, daß noch keiner, auch mit dem längsten Stekken nicht, den Grund gefunden hat.

Die Weiße Frau – Lothar Herbst

Auf den Wiesen von Brehna, besonders da, wo einstmals die Bauern des Ortes Pussendorf ihre Gärten hatten, erscheint manchmal eine Frau. Sie ist ganz in weiße Schleier gehüllt und schreitet über die Flur, als würden ihre Füße den Boden nicht berühren.

Ihr Erscheinen kündet Unglück. Ein Knecht sah sie auf dem Wege nach Schwerz stehen. Drei Tage später brach er sich beim Grabenräumen ein Bein. Ein Bauer äußerte sich spöttisch über den Aberglauben seiner Nachbarn und unterstellte ihnen, Nebelschwaden für eine weiße Frau zu halten. Da erschien ihm die Gestalt auf seiner Wiese. Einen Tag später stürzte er vom Heufuder und mußte bis in die Weihnachtszeit das Bett hüten.

Eines Sonnabends gingen einige junge Männer gegen Mitternacht auf die Pussendorfer Wiesen. Sie wollten die helle Nacht ausnutzen, um die Wiese abzumähen. Es war Mitternacht, als sie begannen, ihre Sensen zu dengeln. Da schritt eine Frau, in weiße Schleier gehüllt, an ihnen vorüber.

Die Männer sahen ihr erstaunt nach. Einige erinnerten sich an ihre Großeltern, die etwas von einer Weißen Frau, die Unglück bringt, unter vorgehaltener Hand erzählt hatten. Doch was sollte ihnen eine Frau anhaben. Sie waren jung und stark und nicht allein. Und einer warf sogar die abgebrochene Spitze seines Wetzsteines nach der Gestalt. Als sie ihre Arbeit fortsetzen wollten, waren die Sensen verschwunden. Lange suchten sie nach ihnen, konnten sie jedoch nicht wiederfinden. Auch die Weiße Frau war nicht mehr zu sehen.

Da wurde den Männern angst. Sie liefen zurück in die Stadt. Kurz vor ihrem Ziel wurde ihnen gewahr, daß einer von ihnen fehlt. Er, der nach der weißen Gestalt geworfen hatte.

Als der Tag anbrach, gingen sie wieder zu den Wiesen. Aber sie fanden auch jetzt ihre Sensen nicht. Auch der junge Mann blieb unauffindbar.

Wie einer den Kobold in sein Haus brachte – Willy Winkler

Einst ging in einer mondhellen Nacht ein Mann von Landsberg nach Brehna. Es mochte schon bald Mitternacht geworden sein, denn er hatte manch gute Stunde im „Pelikan“, dem alten Gasthof, gesessen, und dort mit lieben Freunden und Gevattern bei einigen guten Bieren Erinnerungen und alte Geschichten aufgefrischt. Nun schritt er rüstig dahin, denn seine treue Ehefrau konnte gar böse sein, wenn er des Nachts lange herumzechte.
Als er so in Gedanken dahinschritt, hörte er plötzlich das Gackern eines Huhnes ganz dicht neben sich, und zu seiner Linken sah er mitten auf dem Wege das Tierlein sitzen. „Ei“, dachte er, „wenn ich das Hühnchen haschen könnte und meiner Frau zur Nachtgabe brächte, so würde sie gewiß nicht zanken, weil ich zu so später Stunde heimkomme.“ So schlich er sich behutsam und auf Zehenspitzen an das Tierlein heran, um es mit den Händen fangen zu können. Das aber zeigte gar keine Angst, sondern blieb ruhig sitzen und gackerte weiter. „Oh“, sagte er zu sich selbst, „das war ein leichter Fang“, und steckte das Federvieh unter sein warmes Wams, daß nur das Köpfchen hervorschauen konnte.

Daheim sagte er zu seiner Frau: „Ich hab‘ dir ein gutes Hühnchen mitgebracht, das dich entschädigen soll für deine lange Nachtwache. Setze es derweilen unter den Tisch in der Stube, denn es saß so zum Gotterbarmen auf dem kalten Wege, daß es vor Frost immerzu gackerte. Vielleicht hat es auch Hunger, gib darum etwas von dem guten Weizen, davon noch ein Rest im Säcklein auf dem Boden steht. Wenn es dem Hühnchen bei uns gefällt, wird es uns sicher schöne weiße Eier legen.“ Als die gute Frau das alles getan, legten sich beide zu Bett und verschliefen die Nacht.“
Am Morgen galt der erste Blick dem Hühnchen, das unter dem Tisch saß. Aber da lag auch schon
ein Ei und anstelle der Handvoll Weizen, die als
Futter hingestreut war, lag davon ein ganzes Häufchen goldgelber Körner. „Oh“, sagte der Mann,
„habe ich dir nicht gleich gesagt, daß das Hühnchen uns alle Tage ein Ei legen wird! – Aber warum hast du denn gar so viel Weizen gefüttert?“, und er zeigte auf das Häufchen unter dem Tisch. „Nein“, antwortete die Frau, „ich habe nur eine kleine Handvoll hingestreut, und es ist mir gerade, als ob die Körner wie auf einem Acker vielfältig Frucht gebracht hätten heute Nacht.“
„Du“, sagte darauf der Mann, „das ist ein Glückshühnchen, das wollen wir gut halten und in der Stube lassen.“
So legte das Huhn alle Tage ein Ei und aus der Handvoll Weizen war schon ein ganz großer Haufen geworden, der unter dem Tische kaum noch Platz finden konnte.
Da wurde es den beiden Leuten doch unheimlich mit dem Weizen und den Eiern und dem Huhn, es
ging doch bestimmt nicht mit rechten Dingen zu! In ihrer Angst ging die Frau zum Pfarrer und erzählte ihm das vor den anderen Leuten ängstlich gehütete Geheimnis. „Um Gottes willen“, sagte der Pfarrer, und es war, als ob dessen Haupthaare sich sträubten, „das ist kein gewöhnliches Huhn, sondern eine Seele, welche nicht Ruhe findet im Jenseits. Tragt das Huhn schnell wieder dorthin, wo ihr es gefunden habt, und sprecht: In Gottes Namen bleib in Ruhe! Sonst findet ihr einmal selber keinen Frieden.“
Das sagte die Frau denn ihrem Manne, und dieser tat schnell, wie der Pfarrer geheißen.
Das Huhn blieb auch ruhig wieder auf dem Wege sitzen und der Mann machte sich schleunigst wieder davon. Als er aber nach Hause kam und unter den Tisch schaute, da war aller Weizen verschwunden und nur eine kleine Handvoll lag dort, wo vor Tagen die Frau diesen dem armen Hühnchen hingestreut hatte.
Das Ehepaar aber hat es nie bereut, daß es ausgeschlagen, auf so billige, aber zauberische Weise reich zu werden. Es hatte auch ohnedem alle Tage satt zu essen und lebte in Fleiß und Arbeitsamkeit zufrieden und glücklich bis in ein hohes, gesegnetes Alter.

Wo die Schweden ihre Säbel wetzten – Lothar Herbst

Im Erbrichterkrug von Friedersdorf ging es hoch her. Blasius Sekior, der Rote Landsknecht, wie sie ihn wegen seines roten Haupthaares nannten, prahlte mit seinen Taten. Er war ein Friedersdorfer Bauernsohn. Sein unruhiges Blut aber hatte ihn zu den Landsknechten getrieben. Nun war er zurückgekehrt. Wie selbstverständlich hatte er sich an die Spitze der kleinen Schar Bitterfelder, Mühlbecker und Friedersdorfer Bauern gestellt beim Überfall auf den schwedischen Marketenderwagen in der Friedersdorfer Aue. Nun waren alle guten Mutes. Das süße Honigbier schmeckte, und die Männer lauschten seinen Worten. Einige rauchten aus Pfeifen mit Köpfen, so groß wie ein Maßkrug, und verbreiteten einen Rauch in dem kleinen Schankraum, daß der Wirt meinte, ein Säbel könne drin steckenbleiben.

Doch in den Geruch gerauchten Tabaks mischte sich bald ein anderer. „Brand!“ Blasius war der erste, der es herausschrie. Er sprang auf und wollte zum Ausgang. Doch der wurde aufgestoßen. Der Hütejunge stürzte in den Raum. Flach lag er auf dem Boden. Auf seinem Rücken bildete sich ein immer größer werdender Blutfleck. Hinter ihm drangen drei schwedische Landsknechte in den Raum, den Säbel in der Hand, Blut an der Klinge. Blasius hieb mit der flachen Hand auf den Schanktisch, stieß ihn um und brüllte die drei Kerle an: „Laßt aus! Ihr habt keine Chance! Ich bin fest gegen Hieb, Stich und Schuß!“

Ein langer blonder Kerl mit einer blutroten Narbe quer über der Stirn und stieren, vom Suff glasigen Augen hieb zu – und schaute mit einfältigem Blick auf seine leere Hand. Blasius hatte ihm die Waffe aus der Hand geschlagen. Da sprangen ihn die beiden anderen an und fanden sich auf dem Boden liegend wieder, der eine unter der Ofenbank und der andere auf der Türschwelle.

„Glaubt ihr’s nun? Ihr Teufel!“ Blasius ging auf die drei zu. Doch hinter denen kamen weitere bärtige Gesichter zum Vorschein und drangen auf ihn ein. Der Schwede mit der roten Narbe über der Stirn aber hielt sie auf. „Wo hast du deinen Säbel geschliffen? Sag! Oder du wirst mit dieser Schenke verbrennen, wie das Dorf!“

Ein Dunkelhaariger mit mächtigem Oberlippenbart und bis an die Schenkel reichenden Reitstiefeln drängte sich vor. „Der Rote Blasius! Treffe ich dich endlich!“

„Kroat!“ erwiderte Blasius und blickte auf den Lauf der Reiterpistole, die ihm der Landsknecht vor die Nase hielt.

„Gib dir keine Mühe, Kroat! Sieh!“ Dabei öffnete er am Hals die Schnüre seines Hemdes und zog einen gehenkelten Taler hervor. Der Heilige Georg, den Drachen tötend, war darauf geprägt.

Der Kroat ließ sich nicht beirren. „Den habe ich auch, und doch hat mich deine Kugel getroffen! Deine letzte Stunde hat geschlagen! Roter Teufel!“ Der Schwede mit der roten Narbe drückte die Pistole zur Seite. „Wo hast du deinen Säbel gewetzt? Roter!“ „Reite in die Stadt, die Brehna heißt. Dort steht eine Kirche. Schleife deine Waffe am SeitenPfeiler links von Haupteingang!“

Während Blasius dies sagte, trat er einen Schritt zur Seite zum Fenster zu. Es war ihm ein leichtes, mit einem Sprung durch das Fenster den Hof zu erreichen. Eine Kugel flog ihm nach und klatschte in die Rinde des alten Birnbaums. Hinter ihm in der Schenke fluchte jemand lästerlich. Auch eine zweite Kugel erreichte ihn nicht. Bald hatte er den Bach überwunden und saß schwer atmend im Weidengestrüpp der Muldeaue. Was er sah und hörte, war ihm vertraut. Rote Lohe lag über den Dächern. Der Ort lag in Qualm gehüllt. Das Vieh brüllte, Frauen kreischten, Kinder weinten und Landsknechte fluchten, lachten oder heulten wie die Wölfe.

Am Nachmittag zogen sie wieder ab. Blasius Sekior rannte zum Gehöft seines Vaters. Er fand nur qualmende Ruinen. Im Hofe lagen sie, der Vater, der Bruder, drei Schwestern, erschlagen. Blasius fand den Fischer und den Wildschütz noch am Leben. Dann kamen noch ein paar Bauern aus ihren Verstecken, bleich vor Angst von dem erlebten Grauen. Sie begruben die Toten auf dem Hofe der kleinen Dorfkirche. Dann ging Blasius, die Hand am Säbel, und niemand hat ihn wiedergesehen.
Einige Jahre noch wurde von einem tapferen Häuflein erzählt, das in der Heide den Landsknechten und allen, die dort nichts zu suchen hatten, zusetzt. Ihr Anführer soll ein Rotschopf sein. Doch auch von denen wurde bald nur noch an den Herdfeuern der Bauern geflüstert. Ihre Taten wurden zur Legende.

Noch heute sieht man an der Westecke der Brehnaer Kirche tiefe Rillen. Vielleicht haben dort die Schweden die Säbel gewetzt, um sie kampftüchtiger zu machen. Es wird aber auch erzählt, man habe hier „heiligen Staub“ herausgekratzt und als Arznei verwendet.

Das blutige Tal bei Brehna – Lothar Herbst

Hochstimmung herrschte im großen Raum der Delitzscher Schenke. Elias hatte seine Tochter verheiratet. Gut verheiratet, wie er meinte, und seine Nachbarn gaben ihm recht. Sein Schwiegersohn hatte in Brehna zwei Hufen Acker unterm Pflug und galt allgemein als reich. Und dieser Reichtum wurde der Hochzeitsgesellschaft eindrucksvoll dargestellt. Vierundzwanzig Gänge umfaßte das Hochzeitsmahl. Das gute Delitzscher Bier floß in Strömen durch die Kehlen. Elias führte das große Wort und machte seinem Spitznamen „Elias Großfreß“ alle Ehre. Die Geschichten, die er lautstark zum Besten gab, waren den Gästen seit langem bekannt. Aufmerksam wurden sie erst, als er behauptete, sieben Wölfe erschlagen zu haben. Es wollte ihm aber dies niemand glauben. Die Großmagd seines Schwiegersohns spöttelte sogar über seinen dicken Bauch und das damit verbundene Unvermögen, schnell weglaufen zu können.

Doch Elias ließ sich nicht beirren. Er sprang auf den Tisch und schrie in die Hochzeitgesellschaft, wie er durch Zufall die Höhle entdeckt, erst die sechs soeben geborenen Welpen totgetreten und dann die Wölfin, die ihre Jungen verteidigen wollte, mit einem Knüppel totgeschlagen hatte. Besonders breit malte er aus, wie er der Wölfin die Kehle durchgeschnitten hatte. Dabei fuchtelte er mit einem breiten Küchenmesser in der Luft herum und wollte jedem zeigen, wie kräftig der Schnitt von ihm geführt wurde. Als er aber nach dem Wolfspelz gefragt wurde, mußte er zugeben, daß die Wölfin weg war, als er sie holen wollte. Auch die toten Welpen seien nicht mehr dagewesen. Aber eine besonders grobe Wolfsfährte hätte er feststellen können. Die Anwesenden lachten.

Doch das Lachen verging ihnen. Draußen vor der Tür heulte ein Wolf, laut und klagend. Dann verstärkte sich das Heulen und die Hochzeiter meinten, darin einen metallisch klingenden Ton gehört zu haben. Der Großknecht riß die Tür auf und prallte zurück. Draußen stand ein Wolf von ungewöhnlicher Größe. Seine gelben Augen leuchteten fahlhell und sein Kopf wirkte durch die gesträubten Nackenhaare größer, als ihnjemals einer der Gäste gesehen haben wollte. Sein Fang zeigte die weißen Zähne. Rot leuchtete die Zunge. Dann hob er den Kopf und heulte wieder. Jetzt konnten alle den metallischen Ton heraushören. Elias starrte stieren Blicks auf die Erscheinung. Die Frauen und Mägde schrien. Einige der Männer er. griffen die Schemel und wollten den Wolf verjagen. Doch der war bereits weg. Noch einmal hörten Elias und seine Gäste sein herausforderndes Heulen. Dann wurde es still.

Das Fest ging weiter. Auch Elias fand seine Sprache wieder und ließ sich feiern. Nur der Altvater, der sonst nicht mehr viel sagte, warnte: „Seht Euch vor. Wölfe sind rachsüchtig wie die Menschen und haben manchmal mehr Verstand, als ihr glauben magd. Du hättest die Welpen nicht tottreten sollen, später hätten sie einen guten Pelz geliefert.“ Aber wer hörte schon auf einen alten Mann. Es wurde gegessen, getrunken und getanzt. Niemand scherte sich noch um den Wolf.

Kurz vor Mitternacht wollte das Brautpaar zurück nach Brehna. Auch Elias wurde mitgenommen und
weitere Gäste setzten sich auf den Wagen. Der Großknecht führte das Gespann. Doch die Pferde kannten den Weg. So schlummerten fast alle. Auch Elias war eingeschlafen. Gerade hatte das Gespann den „Brehnaischer Busch“ erreicht, da wurde Elias jäh geweckt. Die Pferde brachen aus. Die Deichsel brach. Die Gestänge zerrissen. Der Wagen stürzte um. Elias fiel schwer mit dem Gesicht in den Schmutz. Als er sein Gesicht hob, sah er in die fahlhell leuchtenden Lichter eines riesigen Wolfes. Er konnte noch an die Erscheinung vor der Tür der Schenke denken, dann schlossen sich spitze Zangen um seine Kehle.

Eine halbe Stunde Weges entfernt hatte der Schäfer seine Herde stehen. Gellende Schrei und Wolfsgeheul schärften seine Aufmerksamkeit. Sein Hund zog den Schweif ein und schmiegte sich an ihn. Dann raste ein Pferd an ihm vorbei, schweißnaß mit gerissenem Gestänge. Unheimlich wurde ihm und er rannte so schnell er konnte in die Stadt. Der Bürgermeister, den er zuerst weckte, wollte ihm nicht glauben. Doch dann rief er zwanzig Männer zusammen und ging mit ihnen mit Knüppeln bewaffnet zur Herde des Schäfers. Hier zündeten sie Fackeln an und folgten den Eindrücken der Hufe des Pferdes.

Sie fanden den Wagen und bei ihm dreizehn Tote, zerrissen von Wölfen. Auch Elias war unter ihnen. Mit herausgebissener Kehle lag er auf dem Rücken. Den blutdurchtränkten Kranz der Braut aber fanden sie vor der Höhle, in der Elias die Welpen und die Wölfin erschlagen hatte.

Das Grauen blieb lange im Gemüt der Männer haften. Den großen Wolf hat niemand wiedergesehen. Unter vorgehaltener Hand erzählten sich die Alten noch lange, es sei ein Werwolf gewesen, dem Elias Frau und Kinder erschlagen hatte. Den Ort der blutigen Tat, eine Senke im „Brehnaischen Busch“ aber nennt man noch heute das „Blutige Tal“.

Der Postillion und der Kobold – Willy Winkler

Als noch die Post von Halle über Bitterfeld nach Wittenberg fuhr, wurden in Carlsfeld die Pferde gewechselt, denn hier war die Poststation. Tag um Tag ratterte die Postkutsche über die holprige Straße und weithin erklang das Posthorn:

Trari trara – trari trara, trara – trara – trara . . . Schnaubend hielten dann bald die Pferde mit dem Postwagen vor der Station und die fremden Fahrgäste stiegen wohl zuweilen zu kurzer Rast aus, während der Carlsfelder Postillion die Fuhre übernahm.
Hier in dem kleinen Häuschen zu Carlsfeld wohnte dieser Postillion. Er hatte die Post eine bestimmte strecke nach Halle zu oder in umgekehrter Richtung bis zur nächsten Station zu bringen und wechselte dort jeweils mit der Rückfuhre.

Das Lustigste aber an solch einem Postillionsleben war wohl das Posthorn. Am Abend, wenn der Mann einmal keine Fuhren über das Land hatte, saß er vor seinem einsamen Hause auf der Bank. Er hatte sein Instrument mitgebracht, stimmte ein paar Töne und blies seine lustigen Lieder in den Abend. In Brehna drüben und in den umliegenden Dörfern hörte man die melodischen Lieder gern und die Männer und Frauen, die des Abends vor der Türe standen und sich erzählten, schwiegen bald mit der Plauderei und lauschten der fernen Musik, die der Abendwind herübertrug über die Felder. Selbst die Jugend, die lachend und singend Arm in Arm durch die Straßen des Ortes gezogen war, schwieg und lauschte.

Eines Tages wollte ein Mann, der von Hohenthurm kam, in einer solchen Abendstunde noch Brehna erreichen. Als er an Carlsfeld vorüberkam, wollte sich gerade der Postillion mit seinem Horn vor die Türe setzen.

„Ei, guten Abend, Gevatter, wollt ihr mir ein gutes Wanderlied zu meinem Wege spielen“, sagte der vorübergehende Bauer freundlich.

„Ich habe euch schon von weitem gehört, weil ihr gar so laut ein Lied gepfiffen habt, und man sagt, daß die Wanderer, welche Angst haben, recht laut singen oder pfeifen, damit sie nicht bange werden“, antwortete darauf der Postillion. „So euch aber Angst ist zu solch später Stunde, so will ich euch gern helfen, weil ihr mir ein lieber Gevatter seid!“ „Nun, nun“, sagte der Bauer, „wenn ich schon Angst hätte vor dem Kobold, der nächtens durch die Luft fliegt und sich dem späten Wanderer auf den Bukkel hängt und ihn würgt, so möchte ich schon wissen, was ihr dagegen zu tun gedenkt?“

„So setzt euch ein Weilchen, ich will ’s euch beweisen. Meint ihr, daß wir Postillione nicht auch einmal Angst haben müssen, wenn wir noch spät zur Nacht die Post fahren?“

„Wenn wir Bauern pfeifen und singen, um unsere Angst zu verbergen, so blast ihr Postillione wohl aus der gleichen Angst ins Horn“, sagte lachend der Bauer.
„lhr braucht es nicht weiter zu sagen, Gevatter, aber ich will es euch einmal verraten, warum wir das Horn blasen zur Abendstunde.“

Der Bauer hatte inzwischen auf der Hausbank neben dem Postillion Platz genommen. Dieser nahm nun sein Horn und blies darauf eine fremde Melodie. Aber gleich nach den ersten Tönen wurde die Luft so unruhig und je weiter der Postillion das Lied fortsetzte, je stürmischer wurde es. Aber die Bäume und Sträucher bewegten sich nicht, im Umkreis lag alles im tiefsten Frieden. Plötzlich fragte eine Stimme aus der Luft: „Was willst du?“
Der Postillion nahm sein Horn vom Mund und antwortete: „Sag mir, Kobold, was hast du heute abend vor?“

„Muß ich’s euch sagen – muß ich’s euch sagen?“ fragte die Stimme nochmals.
„So sag’s schon!“ antwortete der Postillion befehlend.
„Ich will dem Bauern, der neben euch sitzt, ehe er Brehna erreicht auf den Rücken springen und ihn würgen bis er Blut schwitzt.“
„Warum willst du das tun?“ fragte der Postillion. „Weil ich meine Freude daran habe“, entgegnete die unheimliche Stimme.
„Ich schlage dir deine Krallen und deinen feurigen Schwanz ab, wenn du den Bauern nicht in Ruhe läßt, das sage ich dir“, schrie der Postillion in den Wind. „Und nun mache, daß du in den Heuschober kommst, und wenn ich blase, so kommst du wieder!“

Dann wurde nach und nach die Luft still. Dem armen Bäuerlein auf der Bank standen die Schweißperlen auf der Stirn und sein ängstliches Herz klopfte zum Zerspringen. Der Postillion aber sagte zum ihm: „Siehst du, Gevatter, wenn ich das Lied blase, so müssen alle Kobolde mir gehorchen, und du kannst nun ruhig nach Hause gehen und brauchst keine Angst zu haben vor den würgenden Krallen. Sag’s aber niemand anderm, was ich dir heute verraten habe, sonst packt dich der teuflische Kobold doch noch beim Hintern!“

Da erhob sich das Männlein flugs von der Hausbank und schlürfte, so schnell es seine zitternden Beine zuließen, gen Brehna!

Der Schatz im „Brehnaischen Busch“ – Lothar Herbst

Vor langer Zeit lebte in Thiemendorf bei Brehna ein armer Bauer. Eines Tages kam ein Fremder zu ihm und bat um Unterkunft. Er wolle sich selbst beköstigen, hat er gesagt, und dem Wirt wolle er auch etwas abgeben. Dem Bauern war dies sehr recht, denn die Armut lag schwer auf ihm und seiner Familie.
Es war ein eigenartiger Gast, den der Bauer bei sich aufgenommen hatte. Dunkel war sein Haar und unstet sein Blick. Die Nachbarn gingen ihm aus dem Weg und die Mägde fürchteten ihn.
Oft ging er auf die Jagd und brachte Rehe, Hasen und Rebhühner mit. Einmal begleitete ihn der Bauer. Er sollte das Wildbret tragen helfen. Es war ein merkwürdiges Jagen, das der Fremde betrieb. Der Bauer sah, wie er eine Schießscheibe an einem Baum befestigte und um Baum und Scheibe einen
Kreis durch das Erdreich zog. Dann zählte er sieben Schritte vom Kreis gen Mitternacht und schoß aus dieser Entfernung siebenmal auf die Scheibe. Danach bat er den Bauern, die Beute aufzunehmen. Dem wurde es unheimlich, als er in dem Kreis Rebhühner und Hasen liegen sah, alle mit dem Kopf nach der Scheibe ausgerichtet.
Mit der Zeit aber gewöhnte er sich an seinen unheimlichen Gast und erzählte ihm auch von dem Schatz, der im „Brehnaischen Busch“ verborgen liegt. Drei Bratpfannen voller Dukaten sollen es sein, die auf ihren Finder warten. Der Fremde beschloß sofort, den Schatz zu heben. Den richtigen Zeitpunkt wolle er bestimmen. Der Bauer solle nur drei kräftige und zuverlässige Burschen gewinnen, die keine Angst haben, denn einfach würde die Schatzsuche nicht werden.
Der Bauer tat, wie ihm gesagt. In einer Neumondnacht vor Walpurgis rief der Fremde die vier Helfer zu sich und ging mit ihnen zum „Brehnaischen Busch“. Um Mitternacht zog er einen großen Kreis da, wo sich zwei Wege kreuzten, und gebot, sich in den Kreis zu stellen. Auch verbot er ihnen zu reden und den Kreis zu verlassen, wenn ihnen ihr Leben lieb sei. Dann begann er mit der Beschwörung.
Da zog ein furchtbares Unwetter auf mit Blitz und Donner und großem Sturm. Mit dem Sturm kam eine Kutsche. Sie wurde von vier fuchsroten Pferden gezogen. Aber sie fuhr vorbei.
Stärker wurde das Unwetter. Bäume schienen auf die Fünf im Kreis zu fallen, und große Steine heulten über die Köpfe der Männer hinweg. Die Bauern drängten sich zitternd vor Angst aneinander. Der Fremde aber verstärkte seine Beschwörungen. In beiden Händen hielt er dabei ein gelbes Kraut, das mit blauer Flamme brannte. Da kam wieder eine Kutsche. Sie war mit vier Apfelschimmel bespannt. Aber auch sie fuhr vorbei.
Noch dringender wurde die Beschwörung des Fremden. Da kam eine Kutsche, bespannt mit vier Rappen. Funken stoben unter den Hufen der Pferde, aber die Bauern hörten keinen Hufschlag. Diese Kutsche hielt an, und eine Stimme, die aus der Erde zu kommen schien, fragte: „Was ist Dein Begehr?“ „Hier stehen drei Bratpfannen voller Dukaten, die wollen wir heben!“ antwortete der Fremde. „Dazu seid ihr zu wenige!“ sagte die Stimme. „Dafür will ich 13 Seelen!“ Doch der Fremde ließ nicht nach mit der Beschwörung. Die Stimme verstummte. Dafür schrie jemand in der Kutsche, als stäke er am Spieße. Das Unwetter war noch fürchterlicher geworden. Den Bauern standen die Haare zu Berge.
Doch da sahen sie die drei Bratpfannen. Langsam kamen sie wie von unsichtbarer Hand geschoben auf den Kreis zu. Noch waren sie nicht in Reichweite, aber die Bauern konnten die Dukaten schon funkeln sehen. Da schlug die Brehnaer Kirchturmuhr ein Uhr. Mit einem Schlage war alles vorbei.
Die Kutsche war verschwunden, und auch der Fremde war nicht mehr da. Nur die vier Bauern standen klatschnaß auf dem Kreuzwege. Sie sind nach Hause gegangen und haben über ihr Erlebnis geschwiegen. Den Fremden hat auch keiner vermißt.
Nach einiger Zeit aber hat doch noch einer von ihnen im „Pelikan“ beim Biere die Geschichte erzählt. So ist alles herausgekommen, und die Großmütter haben die Erlebnisse der vier Schatzgräber an ihre Enkel weitergesagt. So geschieht es auch heute noch.